Flynn-Effekt – Sind wir klüger als unsere Eltern? Definition und Ursachen

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Werden die Menschen dümmer? Oder vielleicht doch immer schlauer? Der Flynn-Effekt wird hierbei gerne von Neuen-Medien-Enthusiasten bemüht, um die Vorteile der modernen Medienkultur zu untermauern. Gleichermaßen wird seine Umkehrung aber von Kulturpessimisten und ihren Klagen über das Ende des Buchs als Argument herangezogen.

Was hat es denn jetzt aber genau damit auf sich? Wo liegen die Ursachen und warum lässt sich heute eine Umkehrung beobachten?

Der Flynn-Effekt: Definition – von James R. Flynn zu Son-R

  • Der Flynn-Effekt wurde erstmals 1984 vom neuseeländischen Psychologen James R. Flynn beschrieben. Er hat zunächst über 7000 Intelligenztests in den USA und später Intelligenztests in über 14 Industrienationen neu ausgewertet.
  • Bei diesen Auswertungen entdeckte er das Phänomen, dass im 20. Jahrhundert pro Generation der durchschnittliche IQ um 5 bis 25 Punkte zugenommen hat.
  • Flynn beobachtete diesen Trend bis in die 1990er Jahre. Ab diesem Zeitpunkt kam es zu einer Stagnation des IQ-Werts und in den Jahren darauf lässt sich sogar ein leichter Abstieg beobachten.
  • Deshalb müssen Intelligenztests, um aussagekräftig zu bleiben, nachgeeicht werden. Beim Son-R 5 1/2-17 Test etwa, einem nonverbalen, kulturell reduzierten Test, der vor allem bei Kindern eingesetzt wird, wird der Flynn-Effekt mit eingerechnet, um kein verfälschtes Ergebnis zu bekommen.

Macht Fernsehen wirklich dumm? Oder vielleicht sogar schlauer? Ursachen des Flynn-Effekts: Euthenics, Heterosis oder doch der Fernseher?

  • Über die Ursachen des Flynn-Effekts herrscht in der Wissenschaft Uneinigkeit. Es wird aber davon ausgegangen, dass die verschiedensten Faktoren diverser Hypothesen zusammenwirken. Grundsätzlich muss man sich bewusst sein, dass die heutigen Menschen weder klüger noch dümmer sind als ihre Vorfahren. Vielmehr haben sich die Lebenswelt und damit auch die Anforderungen an den Menschen verändert. James R. Flynn selbst erklärt in einem Interview mit Der Zeit zum Flynn-Effekt: „Das zeigt, wie dumm es ist, IQ-Tests mit dem zu verwechseln, was Menschen unter Intelligenz verstehen. Mich langweilt der Begriff Intelligenz.
  • Euthenics: Durch die industrielle Revolution kam es zu einer Verbesserung von Umweltbedingungen, wie Bildung, Ernährung, Gesundheitsversorgung oder den Zugang zu Massenmedien. Das legte den Grundstein für die Möglichkeit mehr Information aufzunehmen. So soll etwa die Einführung von jodiertem Salz in manchen Gegenden der USA zu einem Anstieg des IQ um 15 Punkte gebracht haben.
  • Menschen haben sich an Schule und Tests gewöhnt, können so schneller Muster erkennen und scheinen dementsprechend intelligenter. De Facto haben sie aber nur einen anderen Erfahrungsschatz als ältere Generationen.
  • Die Umwelt ist im letzten Jahrhundert immer komplexer und stimulierender geworden. Besonders visuelle Medien haben im 20. Jahrhundert rapide zugenommen und viele Intelligenztests (z.B. der Raven-Test) basieren auf visuellen Mustern, die erkannt oder vervollständigt werden müssen und das fällt natürlich einfacher, wenn man mit diesen Bildern vertraut ist. So ist der zunehmende Konsum von visuellen Medien, wie Computerspielen oder Fernseher, zumindest was die Intelligenz betrifft, auch eher positiv zu sehen.
  • Die Modernisierung unserer Welt hat auch zu anderen Umweltveränderungen geführt, so wird etwa Arbeit immer mehr intellektuell fordernder und Technologie wird viel umfassender verwendet. Das führt dazu, dass Menschen mehr daran gewohnt sind, in Hypothesen und Kategorien zu denken als früher – Fähigkeiten, die bei Intelligenztestes ebenfalls ausschlaggebend sind.
  • Im 20. Jahrhundert hat sich auch zunehmend ein Leben in der Kleinfamilie entwickelt. In Kombination mit der Entstehung von „Freizeit“ konnten sich Eltern intensiver um das einzelne Kind gekümmert, wodurch der Nachwuchs mehr stimuliert und somit „intelligenter“ wurde.
  • Eine andere Theorie ist der Heterosis-Effekt. Der Begriff stammt aus der Tier- und Pflanzenzucht und bezeichnet das Phänomen, dass wenn verschiedene „Arten“ gekreuzt werden – also z.B. Mais mit Roggen – dass es dann vorkommen kann, dass die entstehende Hybrid-Sorte ertragreicher ist, als die „Reinsortigen“. Das wurde auf den Menschen übertragen: Durch zunehmende Globalisierung und Mobilität wird das Genmaterial stärker durchmischt, was sich positiv auf die Intelligenz auswirkt. Diese Erklärung wurde von Michael Mingroni vorgeschlagen, ist aber sehr umstritten, da normalerweise argumentiert wird, dass Veränderungen im Erbmaterial sich nicht in so kurzer Zeit signifikant auf die Gesellschaft niederschlagen können.

Die Umkehrung des Flynn-Effekts: Werden die Menschen immer dümmer?

  • Seit 2004 gibt es verschiedene Studien u.a. in Norwegen, Dänemark und Großbritannien, die eine Stagnation oder teilweise sogar eine Verringerung der Intelligenz nahelegt. Intelligenztests bei der Musterung von Grundwehrdienern haben eine Stagnation ab den frühen 1990er Jahren gezeigt und seit Mitte der 90er Jahre lässt sich sogar ein Abwärtstrend erkennen.
  • Eine Erklärung dafür ist, dass sich die Schulsysteme seit den 70ern nicht mehr wirklich verändert haben. Ohne die Verbesserung der Ausbildung bleibt so die Intelligenz auf demselben Level. Und auch das geringer werdende Interesse an akademischer Ausbildung ist ein Faktor – wer nicht mehr an Tests gewöhnt ist, schneidet schlechter ab.
  • Eine weitere mögliche Ursache für die Umkehrung bzw. Stagnation des Flynn-Effekts wird darin gesehen, dass unsere Umwelt ein Maß an kognitiven Reizen erreicht hat, die nicht mehr gesteigert werden kann, wodurch auch die Ursache für den IQ-Zuwachs verschwindet.
  • Interessant ist, dass der Zuwachs zwischen den verschiedenen „Arten von Intelligenz“ auseinanderklafft. So können junge Probanden zwar visuelle und logische Aufgaben schneller lösen als ihre Elterngeneration, aber sprachlich nimmt die Intelligenz nur minimal zu. Flynn führt dies zurück auf die Dominanz visueller Medien – TV und Computerspiele – und dem exzessiven Gebrauch von kurzen Texten, wie SMS oder Facebook, die der Entwicklung von Wortschatz und Sprachgefühl entgegenwirkt.
  • Wesentlich pessimistischer schätzt James Flynn selbst die Umkehrung ein: „In der Geschichte der Menschheit hat Wohlstand immer zu Dekadenz geführt. Dadurch wird die Intelligenz weiter sinken. Das war schon bei den Römern so.
  • Ob diese Aussage Flynns zutrifft, ist fraglich. Auffällig ist aber, dass in Entwicklungs- und Schwellenländern der Flynn-Effekt nach wie vor festzustellen ist. In Brasilien oder die Türkei etwa steigt der durchschnittliche IQ nach wie vor und in Kenia erhöht sich der IQ – parallel zur raschen Industrialisierung des Landes – um fast einen Punkt pro Jahr.

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