Bei psychischen Beschwerden ist die erste Anlaufstelle für den Hilfesuchenden häufig der Hausarzt. Er ist es, der eine erste Einschätzung vornimmt und den Patienten möglicherweise zu einem Psychotherapeuten, Psychiater oder Neurologen überweist. Aber kann auch der Hausarzt selbst Psychopharmaka, zum Beispiel Antidepressiva, verschreiben?
Antidepressiva vom Hausarzt? Geht das?
- Grundsätzlich gilt: Antidepressiva kann neben dem Psychiater und Neurologen auch der Hausarzt verschreiben. Voraussetzung für das Verschreiben von Medikamenten, auch bei psychischen Erkrankungen, ist die Approbation, also die staatliche Zulassung als Arzt. Demnach darfjeder Arzt, auch der Hausarzt, nicht aber der Psychotherapeut oder der Heilpraktiker Antidepressiva verschreiben.
Wann ist das verschreiben von Antidepressiva durch den Hausarzt sinnvoll?
- Ist ein Medikament durch den Facharzt auf den Patienten abgestimmt worden, wird es vertragen und handelt es sich um ein Folgerezept, so kann dieses in der Regel problemlos vom Hausarzt ausgestellt werden.
- Häufig liegt eine akut belastende Lebenssituation vor. In Phasen hoher Arbeitsbelastung, von Prüfungsstress, Liebeskummer oder nach dem Tod eines nahestehenden Menschen können ebenfalls depressive Verstimmungen auftreten, ohne dass ein klinisches Krankheitsbild vorliegen muss. In solchen Fällen kann auch Hilfe beim Hausarzt gesucht werden.
- Handelt es sich also um eine vorübergehende Belastung und ist vorauszusehen, dass die Symptome auf äußere Ursachen zurückzuführen sind (siehe vorheriger Punkt), empfiehlt sich manchmal eine vorübergehende, oft niedrig dosierte Einnahme von Antidepressiva, die unterstützend wirken. In diesen Fällen wird der Hausarzt mit dem Patienten besprechen, inwiefern das Verschreiben eines Medikamentes durch ihn (ohne weitere Maßnahmen) eine Möglichkeit darstellt.
Vorsicht: Bis zu 70% nicht sinnvoll verschriebener Antidepressiva von Hausärzten!
- Bei einer Erstverordnung von Antidepressiva durch den Hausarzt gilt zu beachten, dass er (als Allgemeinarzt oder Facharzt für innere Medizin) in der Regel keine psychiatrische Fachkompetenz besitzt. Nicht immer liegt bei depressiven Verstimmungen eine psychische Erkrankung vor, die mit Medikamenten behandelt werden muss. Es wird geschätzt, dass in 60 bis 70 Prozent der Fällen vom Hausarzt eine Depression diagnostiziert wird, die keine ist.
- Dagegen werde komplexe psychiatrische Krankheitsbilder, beispielsweise manisch-depressive Erkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen, vom Allgemeinarzt häufig nicht oder zu spät erkannt.
- Es ist daher empfehlenswert, die Diagnose von einem Facharzt oder Psychotherapeuten vornehmen zu lassen. Da der Psychotherapeut selbst keine Medikamente verschreiben darf, arbeitet er häufig eng mit einem Facharzt oder dem Hausarzt zusammen, wenn es zur Verordnung von Medikamenten kommt.
Häufige Unverträglichkeiten, falsche Dosierungen und Nebenwirkungen
- Auch aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit von Unverträglichkeiten bei Antidepressiva sollte ein solches Medikament nur von Psychiatern oder Neurologen verordnet werden – Da bei dieser Berufsgruppe mehr Erfahrungswerte vorhanden sind.
- Die Liste möglicher Nebenwirkungen bei Antidepressiva ist lang. Nicht immer verträgt der Patient gleich das erste verschriebene Präparat. In diesem Fall ist ein weiterer Besuch beim Facharzt oder Psychotherapeuten unerlässlich. Nur dieser verfügt über das psychiatrische Fachwissen, um den Patienten zuverlässig auf eine medikamentöse Behandlung einzustellen.
- Gleiches gilt für die Dosierung von Antidepressiva. Empfohlene Standartdosierungen sind bei Psychopharmaka höchstens ein Anhaltspunkt. Die genaue Dosierung hängt stark von der Diagnose und Einschätzung der Schwere der Erkrankung ab. Auch aus diesem Grund empfiehlt es sich, einen Arzt mit psychiatrischem Fachwissen aufzusuchen.
- Manche Psychopharmaka führen zu einer Verschlimmerung der Symptome, bevor eine Linderung eintritt. Auch für diesen Fall ist die Betreuung durch einen Facharzt, mindestens aber durch eine psychotherapeutische Begleitung, sinnvoll, um gegebenenfalls fachgerechte Unterstützung zu erfahren.
Tipp: Den Hausarzt nach Erfahrungswerten Fragen!
- In den letzten Jahren wurden auch Hausärzte vermehrt geschult, um psychische Erkrankungen frühzeitig zu erkennen. Leitlinien für die Diagnostik und Therapieempfehlungen liegen inzwischen den meisten Hausärzten vor. Unter anderem wurde ein sogenannter Stufenplan für die Diagnostik von Depressionen erstellt. Trotzdem verfügt ein ausgebildeter Psychiater, Neurologe oder Psychotherapeut über mehr Erfahrung in der Therapie von psychischen Erkrankungen.
Sind Antidepressiva überhaupt nötig bzw. Sinnvoll? Gibt es eventuell bessere Wege und Möglichkeiten die Depressionen zu behandeln?
- Grundsätzlich ist umstritten, ob eine ausschließlich medikamentöse Behandlung bei psychischen Erkrankungen ausreicht. Empfohlen wird von Psychiatern, Psychotherapeuten und Neurologen je nach Krankheitsbild häufig eine Kombination aus Psychotherapie und Psychopharmka. Vor allem bei Depressionen werden mit der Einnahme von Antidepressiva zwar die Symptome gelindert, nicht aber die Ursachen der Erkrankung aufgelöst. Viele Hausärzte überweisen ihre Patienten alleine aus diesem Grund zu einem Facharzt oder Psychotherapeuten weiter.
Wie ist der langfristige Plan? Antidepressiva sind eigentlich nie eine langfristige Lösung!
- Kommt es zu einer Psychotherapie, ist es sinnvoll, dass zwischen dem Psychotherapeuten und dem Hausarzt, vorausgesetzt dieser und nicht ein Psychiater oder Neurologe verschreibt das Medikament, die medikamentöse Behandlung und der Therapieerfolg abgesprochen wird. Häufig werden Antidepressiva und andere Psychopharmaka eingesetzt, um den Patienten so weit zu stabilisieren, dass eine Psychotherapie überhaupt erst möglich wird. In diesem Fall ist es unerlässlich, dass Hausarzt und Psychotherapeut einander vom jeweiligen Behandlungsstand in Kenntnis setzen.
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