Wer waren die Gebrüder Grimm? Von Märchen & Schauergeschichten

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Es war einmal …“ ist der Anfang einer Erfolgsgeschichte, die nicht nur jedes Kind kennt: Vor rund 200 Jahren gaben Jacob (1785 – †1863) und Wilhelm Grimm (1786 – †1859) ihre Sammlung von „Kinder- und Hausmärchen“ heraus. Seitdem ist die europäische Vorstellung des „Märchens“ auf das engste mit dem Bild der beiden Brüder verknüpft.

Kaum jemand weiß jedoch, dass es den Grimms gar nicht um jene fröhlichen Geschichten ging, die heute Ledergebunden in allen Regalen stehen: Die ursprünglichen Grimm´schen „Hausmärchen“ erzählen von Erotik, Gewalt und Verderbtheit – und die Intention der Brüder war hierbei weniger pädagogischer, als vielmehr politischer und wissenschaftlicher Natur.

Die Brüder Grimm in Zahlen & Fakten

  • Jacob und Wilhelm Grimm wurden als Älteste von insgesamt fünf Brüdern im hessischen Hanau geboren (Jacob 1785, Wilhelm ein Jahr später) und verstarben in Berlin (Wilhelm 1859, Jacob drei Jahre später), wo noch heute viele Institutionen von ihrem Wirken zeugen.
  • Schon während ihres Jura-Studiums in Marburg beschäftigten sich die Brüder unter dem Einfluss Friedrich Carl von Savignys, eines Rechtsgelehrten mit starkem historischen Interesse, mit den deutschen Literaturgeschichte und ihren historischen Wurzeln.
  • 1806: Nach ihrem Studienabschluss beauftragte der Romantiker Clemens Brentano, der zu diesem Zeitpunkt in Marburg lehrte, die Brüder mit der Sammlung von deutschen Märchen und Volkssagen. Dieser Aufgabe gingen die Brüder in Kassel nach, wo sie für den Lebensunterhalt ihrer Familie sorgen mussten.
  • 1806-1811: Jacob und Wilhelm Grimm trugen die Erzählungen zum Teil aus historischen Quellen zusammen, verschriftlichten in erster Linie jedoch mündliche Überlieferungen und brachten diese in eine „ansprechende“ Form.
  • 1812: Neben anderen Publikationen erschien im Dezember die erste Ausgabe der „Kinder- und Hausmärchen“ auf Eigeninitiative der Grimms, da ihr Lehrer Brentano das Interesse an der Märchensammlung bereits verloren hatte; bis 1858 folgten weitere, überarbeitete und erweiterte Ausgaben.
  • 1830-40 in Göttingen: Jacob lehrte ab 1830, Wilhelm ab 1835 an der Universität zu Göttingen, wo beide sich in erster Linie ihren Sprachforschungen und der Ausarbeitung einer „deutschen Grammatik“ widmeten, die zu diesem Zeitpunkt noch nichts existierte.
  • 1837: Die beiden unterschrieben eine Petition gegen die Willkür des Königs (Königreich Hannover, 1814-1866) und wurden daraufhin ihrer Ämter enthoben; die weiteren drei Jahre verbrachten die Brüder in Göttingen ohne Anstellung im Exil.
  • 1841: In diesem Jahr wurden die Bruder von Friedrich Wilhelm IV. (von Preußen) nach Berlin und an die „Akademie der Wissenschaften“ berufen, wo sie bis zu ihrem Tode wirkten; begraben sind die Grimms in Berlin-Schöneberg.
  • Übrigens: Unter der Bezeichnung „Gebrüder“ Grimm haben Jacob und Wilhelm Grimm niemals publiziert; es handelt sich dabei um eine heute nicht mehr gebräuchliche Pluralform aus althochdeutscher Zeit, die sich aus dem althochdeutschen Wort „gibrúodar“ („Geschwister“) entwickelt hat. Für die Sprachstufe der Brüder Grimm ist die Bezeichnung zwar durchaus korrekt, wird mittlerweile jedoch nicht mehr verwendet.

Von Schauermärchen zu Kindergeschichten – was ist passiert?

Als Brentano die Brüder Grimm 1806 mit der Sammlung der Volksmärchen beauftragte, hatten weder er noch seine Schüler im Sinn, Erzählungen für Kinder herauszugeben. Als bekennende Volkskundler und zudem als Kinder eines Deutschland, das durch die Napoleonischen Kriege in Einzelstaaten zerfallen war, ging es den Dreien in erster Linie um das „verbindende Element“ in den Erzählungen des Volkes: Die Märchen sollten die Sprache des Volkes sprechen, ihm aus der Seele reden. Das Vorwort der zweiten Auflage spricht in diesem Zusammenhang von einem „urdeutschen Mythos“, den man wiederzubeleben suche. Entsprechend verblüffend ist die Wandlung, die die Publikationsgeschichte der „Grimm´schen Märchen“ durchlaufen hat:

  • 1810: Die Erstfassung enthielt 48 handschriftliche Texte, die zum Teil aus schriftlichen, zum Teil aus mündlichen Quellen kamen; es handelte sich um Geschichten für Erwachsene: Unterhaltungsliteratur mit erotischem und schauerlichem Inhalt.
  • 1812: Nachdem Brentano sich gegen eine Veröffentlichung entschieden hatte, publizierten die Brüder Grimm in Eigenregie den Ersten Band; die Veröffentlichung des zweiten Bandes folgte 1814.
  • Der Verkauf der Erstauflage verlief schleppend, da die Grimms die Sammlung mit literaturhistorischem Anspruch herausgegeben und um wissenschaftliche Anmerkungen erweitert hatten; der Verlag jedoch hatte der Sammlung aus Verkaufs-strategischen Gründen den Titel „Kinder- und Hausmärchen“ gegeben, sodass die Erwartungen der Leserschaft nicht mit dem Inhalt übereinstimmten.
  • 1819: In diesem Jahr erschien die zweite Auflage, die dem Titel bereits angeglichen war: Die wissenschaftlichen Anmerkungen (die sämtlich von Wilhelm Grimm stammten) wurden gestrichen und die Erzählungen wurden in jugendfreie Märchen umgewandelt; ab diesem Zeitpunkt wurden die „Kinder- und Hausmärchen“ zum Verkaufsschlager.
  • Die Texte der zweiten Auflage stimmen weitgehend mit den heute bekannten Versionen überein; bis zum Jahr 1858 erschienen zwar immer wieder erweiterte Auflagen der „Kinder- und Hausmärchen“, doch der Grundbestand hat sich nicht mehr großartig verändert.

Was taten Rapunzel & Co., bevor sie jugendfrei wurden?

Da die Grimms ursprünglich politisch-soziale und wissenschaftliche Zwecke verfolgten, nahmen die Texte ihrer Sammlung u.a. das auf´s Korn, worüber niemand gerne sprach – in den Originalversionen tummeln sich frivole Prinzessinnen und mordlüsterne Mütter:

  • So wurden Hänsel & Gretel in der Originalfassung keineswegs von ihrer bösen und eifersüchtigen Stiefmutter in den Wald geschickt, sondern es war ihre leibliche Mutter, die die eigenen Kinder lieber tot als lebendig sehen wollte.
  • Auch die böse Königin, die in der bekannten Version ihre Stieftochter in den Wald schickt, weil diese „hundertmal schöner“ ist als sie selbst, ist eigentlich Schneewittchens leibliche Mutter gewesen.
  • Ähnlich schlecht erging es dem Original-Rotkäppchen, das seine Großmutter nicht nur verlor, sondern sie sogar teilweise aufaß – in der Grimm´schen Version des Märchens wird die alte Frau vom Wolf nämlich nicht gegessen, sondern gekocht und dem Rotkäppchen serviert.
  • Besonders unromantisch ging es in der Erstfassung des „Froschkönigs“ zu, denn anstatt sich lediglich vor dem Kuss zu zieren, holte die Prinzessin kräftig aus und beförderte das königliche Amphibium mit einem gezielten Schlag gegen die Wand ihrer Kemenate.
  • Besonders verdorben gab sich schließlich Rapunzel, die ihren Geliebten in der Originalfassung nicht nur ihr Haar, sondern direkt ihren ganzen Körper erobern ließ und sich anschließend wunderte, warum ihre Kleider immer kleiner und ihr Bauch immer runder wurde.

Was haben die Grimm´schen Märchen mit der deutschen Sprache zu tun?

Die Brüder Grimm werden häufig als „Mitbegründer der Germanistik“ bezeichnet. Tatsache ist, dass sie die Sammlung ihrer Volksmärchen mit literaturhistorischem Anspruch betrieben und sich in ihrer Suche nach Texten auch mit Quellen auseinandersetzten, die einer anderen Sprachstufe des Deutschen beziehungsweise früheren Sprachstufen anderer germanischer Sprachen entstammten:

  • Schon lange vor den „Kinder- und Hausmärchen“ publizierte Jacob Grimm zahlreiche Texte zum Thema einer Sprachstufe, die er bereits „althochdeutsch“ nannte; dabei handelt es sich um die erste (bezeichnete) Form des Deutschen, die bereits alle wesentlichen Merkmale des Deutschen zeigt.
  • Beim „Althochdeutschen“ handelt es sich nicht um eine Fremdsprache, sondern um eine historische Stufe unserer eigenen Sprache, die uns allerdings fremd geworden ist.
  • „Revolutionär“ am Ansatz Jacob Grimms war die Annahme von der „Historizität“ der Sprache, d.h. von einer Entwicklung der Sprache in Übereinstimmung mit der Entwicklung der Menschheit, die auch eine „Verwandtschaft“ der Sprachen untereinander einschließt.
  • Ähnlichkeiten zwischen zeitlich und räumlich (weit) getrennten Sprachen waren zum Teil zwar bereits im 18. Jahrhundert entdeckt worden, doch immer als Zufälligkeiten abgetan worden; im zweiten Jahrzehnt wusste man durch die Bemühungen einiger wichtiger Persönlichkeiten um die Verwandtschaft der Sprachen und war sicher, dass die Ähnlichkeiten nicht auf Zufälligkeiten beruhen konnten.
  • Die Arbeiten Jacob Grimms zu diesen sprachlichen Verwandtschaften leisteten der Sprachwissenschaft entscheidende Dienste; seine Monographie „Deutsche Grammatik“ von 1819 gilt heute als „Gründungswerk“ der deutschen Vergleichenden Sprachwissenschaft.
  • Die Arbeit der Grimms muss aus ihrer Zeit heraus verstanden werden: Sie konzentriert sich beinahe ausnahmslos auf die Geschichte der deutschen Sprache! Es handelt sich um die Zeit der Napoleonischen Kriege (Befreiungskriege) und in der deutschen Romantik, welcher die Brüder Grimm zuzuordnen sind, fand eine Rückbesinnung auf die nationalen Wurzeln, die Eigenwertigkeit und die Besonderheit der deutschen Sprache statt.
  • Man hatte das Anliegen, die deutsche Sprache aufzuwerten und das Bewusstsein des Volkes für die eigene Sprache zu stärken.
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